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Wie der weite Westen der USA zur schillernden Bühne wurde

Endlose Straßen, heiße Wüste, blubbernde Motoren. Nirgends ist der American Dream so groß und amerikanisch wie hier. Der Südwesten der USA ist die Königin aller Kulissen, die Mutter aller Klischees. Eine Fahrt durchs filmreifste Land der Erde, wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen.
Fußnote
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Ein Sonntagmorgen in Los Angeles. Mark Escribano parkt einen weißen Dodge Challenger vor der Marsoberfläche. Rote Steine liegen im Bild, im Weltall schwebt ein blauer Mond. Escribano fegt den Boden, verdunkelt die Bühne. „Von mir aus kann’s losgehen“, sagt er. „Sieht super aus.“

Escribano kann so ziemlich alles super aussehen lassen. Superecht, superschön, superscharf. Die Welt als Kulisse, jede denkbare Umgebung als perfektes Trugbild. Mal kosmisch überhöht, mal von der KI generiert, mal eingespielt als wohltemperiertes Abbild der Realität. Escribano blendet die Szenerien einfach ein.

Das Spiel mit der Illusion ist sein Geschäft. Er ist der leitende Produzent von Standard Vision, einem sogenannten LED-Volumen. Im filmtreibenden Westen der USA ist das der letzte Schrei in Sachen Kulissenzauberei. Was früher Bühnenbild und aufwendiger Setbau waren, erledigen heute riesige LED-Bildschirme. Und auf diesen Projektionsflächen kann so ziemlich alles laufen.

Escribano könnte hawaiianische Monsterwellen erscheinen lassen, die Straßenschluchten Tokios, eine bayerische Voralpenlandschaft im zarten Morgennebel. Die Realität in Form traumhafter Bühnenbilder – bis die Grenzen zur Fiktion verwischen. Virtual Reality, Augmented Reality, Extended Reality, Mixed Reality heißen die Zauberworte. Mithilfe der neuen Technologien werden Umgebungen optisch eingefangen, digital erzeugt und beliebig modifiziert – Kunstwelten, vor deren Hintergrund sich jedwede Geschichte erzählen lässt.

Darum geht es: perfektes Kino. Fast täglich wird im Studio gedreht. Filmszenen, Werbung, Musikvideos. Autos, die durch die Wüste preschen. Kühlschränke, die durch den Weltraum schweben. You name it. You get it. Die Black Crowes haben hier schon ein Video produziert, der Kultregisseur Wes Andersen Sequenzen gedreht.

Willkommen im filmreifsten Land der Erde. Dem größten Storyteller, den die Welt je gesehen hat.

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Die Projektion des Möglichen und Unmöglichen war schon immer das Kerngeschäft Hollywoods und seiner Satelliten. Die Big Dreams, die ganz großen Träume. Damit kennt man sich hier aus. Vor den Hallentoren liegt Los Angeles im gleißenden Sommerlicht. Kalifornien, die größte Illusionsmaschine auf Erden. Zugleich das Tor zum Südwesten der USA – dem größten Storyteller, den die Welt je gesehen hat.

Das Jonglieren mit Schein und Sein gehört hier zum Tagesgeschäft. Und da können die Grenzen zwischen Fiktion und Realität schon mal verwischen. Aber hey: „There is no business like show business!“

Niemand weiß das so gut wie der Südwesten der USA. Zwischen Pazifik und Vegas, zwischen Hollywood und Wüste ist darum auch viel mehr entstanden als nur schillerndes Kino. Nirgends sonst fällt der American Dream so amerikanisch aus wie hier. Nirgends ist der Himmel weiter, dehnen sich die Landschaften so anmaßend unter den weißen Wolken. Endlose Straßen, blubbernde Motoren, gewaltige Cheeseburger!

Der Südwesten der USA ist die Mutter aller Klischees, die Königin aller Kulissen. Das filmreifste Land der Erde hat unsere Träume geprägt. Wo, wenn nicht hier, fällt sie hemmungsloser aus, die Vision der grenzenlosen Freiheit? Den Soundtrack dazu kennen wir alle: „Life’s a road movie, honey!“

Bleibt am Ende nur eins. Ins Auto setzen und selbst lospreschen. Und wer denkt, er sitzt im falschen Film, muss nur genau hinsehen. Die Windschutzscheibe mutiert schon bald zur Leinwand, die Welt selbst zur Projektionsfläche.

Gleich hinter San Bernardino beginnt die große Weite. Das heiße Pflaster zwischen Wüste und Vegas. Kilometerlange Güterzüge rauschen durch die Prärie, silberne Trucks durchmessen die von Kakteen überzogenen Weiten zwischen Colorado River und den brütend heißen Canyonlands.

Mitten in der Wüste bimmeln Casinos, tanzen die Cowgirls. Du siehst Tankstellen mit hundert Zapfsäulen, Tankstellen, in denen Ufos unter der Decke hängen und dir ein zehn Meter großer Peter Fonda mit feuerroten Kugelaugen entgegenkommt. Genau das ist der Südwesten: ein Land, dem keine Story zu groß, kein Drehbuch zu verwegen ist. Ganze Genres wurden hier erfunden – wohl auch darum, weil sie woanders gar nicht erst vorstellbar gewesen wären. Der Western, das Road-Movie. Tarantula, Pulp Fiction.

Die reale Welt da draußen diente schon als Blaupause für ungezählte Fantasien. Allein: Eine Überhöhung hatte sie nie nötig. Ihre schiere Präsenz reichte, um die wilden Storys nur so aus dem Boden schießen zu lassen.

Im Westen ist das Spiel mit der Illusion Geschäft. Gefragt: Kunstwelten, vor deren Hintergrund sich jedwede Geschichte erzählen lässt.

Wer hat hier unten nicht schon alles sein Unwesen getrieben? Buffalo Bill, Easy Rider, Indiana Jones. Der Ex-Rennfahrer Kowalski, der seinen Wagen quer durchs Klapperschlangenland drischt. John Wayne, James Dean, Hopper, Tarantino: Sie alle kamen und verfielen dem Set. Jenem irrwitzigen Background, in dem sich 300 Millionen Jahre alte Tafelberge und von Neonreklamen beschienene Wüstenmotels die Hand reichen.

Und so geschieht es: Nirgends sonst vermischen sich Realität und Illusion so glorreich wie hier. Das Land selbst ist zur Kulisse geworden, das Klischee an jeder Kreuzung zur Gewissheit. Jede Reise durch diese Ecke der Welt gerät unvermeidlich zum filmhaften Unterfangen.

Du fährst weiter. Wie ein Gewehrlauf zieht sich die Straße zum Horizont. Hier und da steht ein Ölfass in der Wüste, ein Wohnwagen, ein Flugzeugwrack. Du rast an staubigen Briefkästen vorbei. Geier kreisen.

Vor der Windschutzscheibe tauchen die nächsten Berge auf. Orangefarbene Evaporiten, Bögen aus verwaschenem Sandstein. Du hast das alles schon mal gesehen, denkst du. Die Chihuahua Desert, das Great Basin. Die Mojave, die Sonora. Alles flimmert vor Hitze. Die Luft knochentrocken. Dann dämmert es dir. Du warst noch nie hier – und doch warst du schon hundertmal hier. In irgendeinem Film. Szenen huschen durch dein Hirn. Der Mann, der Liberty Valance erschoss. No Country for Old Men.

Aber das hier ist echt. The real thing. Der amerikanische Westen im Großformat. Das Land von Billy the Kid. Meilenweit geht es durch die Wüste. Du bist die Dimensionen nicht gewöhnt. Die Temperaturen, die Pferdestärken. Das rollende Amerikanisch. Doch du fährst immer weiter. Der Film soll nicht aufhören. Eine Szene geht noch, eine Kurve muss noch sein. Durch diese Welt vor deinen Augen, ausgerollt in Cinemascope.

Und irgendwann geschieht es. Die Bilder überlagern sich, die falschen, die echten. Famose Kamera. Du vergisst, dass du im Auto sitzt. Du denkst, du sitzt im Kino.

Wie ein Gewehrlauf zieht sich die Straße zum Horizont. Jede Reise durch diese Ecke der Welt gerät unvermeidlich zum filmhaften Unterfangen.

Im Antelope Valley taucht ein Motel im Nirgendwo auf. Eine Tankstelle, ein Diner. Neon leuchtet, die amerikanische Flagge weht. Im Hof steht ein grüner Convertible, daneben ein alter Mustang. Das Motel könnte aus den 1950er-Jahren stammen, als ob James Dean gleich um die Ecke biegen würde. Stattdessen steht der Deutsche Jan-Peter Flack vor der Tür, Betreiber der Four Aces Movie Ranch. Und genau das ist diese kleine Ansammlung amerikanischer Architektur inmitten der Einöde: eine Kulisse in der Kulisse – nichts anderes als eine eigens konstruierte Film-Location.

Lady Gaga und Britney Spears haben hier schon gedreht. Der Thriller Identity mit John Cusack und Ray Liotta spielt in Teilen hier, Clint Eastwood nutzte das Set als Regisseur. Jan-Peter Flack hat das Motel, die Bar und den Diner täuschend echt rekonstruiert. Es ist, als betrete man ein Edward-Hopper-Gemälde.

Flack ist ein Profi in Sachen Bühnenbau. Ein Meister der Kulissenschieberei und in der Branche eine Berühmtheit. Seine Four Aces Movie Ranch ist eine Perle. Wer den verchromten Westen als Kulisse braucht, bekommt ihn hier als Destillat serviert. Samt Eismaschinen und Ketchup-Flaschen aus den guten alten Tagen.

„Eine gute Kulisse muss perfekt sein“, sagt Flack. „Das Design. Das Licht, die Schatten. Das rostige Schild, das im Wind klappert. Am Ende muss die Kulisse eines beherrschen: Sie muss wahrer sein als die Wirklichkeit. Genau dann macht es: peng!“

Längst hat dich dieser amerikanische Westen selbst verzaubert. Im Wortsinn. Du hast inzwischen einen Cody James auf dem Kopf, die schwarzen Cowboystiefel auf dem Gaspedal. Es geht nicht anders. Die Macht der Stereotypen ist zu groß. Die Illusion, die Lust an den Geschichten. Vor dir die Motorhaube. Der Sound Amerikas.

Du braust durch Nevada. Ein Brett unter weitem Himmel. Die ersten Casinos tauchen auf, die ersten Wasserrutschen in der Wüste. Bald flimmert Vegas am Horizont. Pyramiden, die höher sind als die echten in Ägypten. Hotels, vor denen Fontänen zu Verdi tanzen.

Kulissenzauberei? Nein, Vegas im Jahr 2024. Die Überhöhung der Überhöhung, die Steigerung der Steigerung. Auch das ist der amerikanische Westen. Die Show als Offenbarung. Fake als Bekenntnis.

Du rast durchs Valley of Fire. Im Sonnenuntergang scheinen die Berge zu brennen. Dies ist das Reich der Echsen und Skorpione. Ein Land ohne Bäume, ohne Gärten, ohne Oasen. Eine Wüste im besten Sinne, mitunter die heißeste und gnadenloseste der Erde. Doch ausgerechnet hier hat der Mensch die wohl unverfrorenste Dosis an Popkultur installiert, die man sich vorstellen kann.

Hier tanzen die Glücksritter und reiten die Desperados, hier amüsieren sich die Cowboys und dröhnen die Harleys – inmitten erbarmungsloser Natur. Der Plot ist unwiderstehlich. Nimm eine der menschenfeindlichsten Ecken des Planeten und verwandele sie in eine Piste für Dukatenjäger und benzingeile Freiheitssucher.

Letztlich ist genau das das Entscheidende. Ein archaisches Motiv von bemerkenswerter Aktualität: der Mensch in der Natur. Hier draußen ist diese Story auf die Spitze getrieben. Der Stoff für ganz großes Kino. Die Magie des amerikanischen Westens. Coca-Cola in der Steppe, Rock ’n’ Roll im Niemandsland.

Marc Bielefeld
Marc Bielefeld
Autor
Vom Ballon in die Wüste, aufs Meer, ins Eis: In zwölf packenden Reportagen und Podcasts beschreibt der Autor faszinierende Reisen und trifft auf außergewöhnliche Menschen.
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Jens Görlich
Jens Görlich
Fotograf
Große Momente, stilles Glück, bewegende Szenen: Der Fotograf aus Frankfurt ist mit seiner Kamera hautnah dabei und fängt ein, was Worte nicht sagen können.
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Lufthansa Aluminium Collection
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Reisebegleiter
Von Motel zu Motel, durch Casinos, heiße Wüste und über glühenden Asphalt: Auch auf dem Road-Trip durch den Südwesten der USA bewies sich unser Koffer als unerschütterlicher Reise-Buddy.

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